Entspannt Elternsein

Der Wald an meiner Seite – Wie die Natur uns bei der Erziehung helfen kann.

Der Wald an meiner Seite

Um ein Kind groß zu ziehen brauchen wir ein ganzes Dorf. Und die Natur!

Silvia fühlt sich schon wie so eine schreckliche Helikopter-Mutter. Dabei muss sie einfach ständig ihre Söhne im Auge behalten. Denen fällt immer ein neuer Blödsinn ein. Dauernd muss sie mit ihnen schimpfen. „Mama, dein Gekeife nervt!“, haben sie ihr letztens nachgerufen. Um ehrlich zu sein: Silvia nervt ihr eigenes Gekeife noch viel mehr.

„Du musst mehr raus mit den Jungs. Wir waren früher immer bei Oma. Sonst hätte ich euch auch nicht ausgehalten.“, hat Silvias Mutter ihr letztens geraten. Stimmt. Als Mädchen hat Silvia die meisten Wochenenden bei ihrer Oma verbracht. Die wohnte direkt neben einem Wald. Und in dem Wald verbrachten sie ganze Tage. Silvia und ihre Schwester kannten jeden Strauch, jeden Baum, den Ameisenhügel, die Mooslandschaft, den kalten Bach, den Sumpf. Es war ihr Wald. Ihr Königreich. Ihr zweites Zuhause.

Kinder im Wald; Natur

Die Natur schenkt Urvertrauen

Wer je selbst einen Wald hatte, weiß wieviel er einem Kind bedeuten kann. Richard Louv hatte einen Wald. Er schreibt, dass er ADHS hatte, und dass der Wald sein Ritalin war. Jetzt ist er einer der bekanntesten Umweltaktivisten in den USA und Journalist. Die Bindung an die Natur ist für ihn ähnlich wichtig, wie die an die Mutter. Natur ist wie Atemluft für die Seele, schreibt er. Sie gibt dem Kind das beruhigende Gefühl in dieser Welt aufgehoben zu sein. Erde, Luft, Wasser, Feuer – die vier Elemente hält das Kind regelrecht in der Hand. So bindet es sich an die Welt, baut sein Fundament. Das Fundament, das es den Rest seines Lebens tragen wird.

Die Natur setzt Grenzen

Die Natur kann unsere Kinder erziehen, wenn wir es zulassen. Draußen können wir das Zepter mal aus der Hand legen. Jetzt übernimmt die Natur das Kommando. Unser kleiner Dickkopf wird erfahren, dass es einen noch viel größeren gibt. Der Kinderarzt Renz-Polster und der Hirnforscher Gerald Hüther schreiben: Die Natur ist widerständig. Sie passt sich nicht unseren Kindern an, sondern sie sind es, die sich anpassen müssen. Der Bach wird nicht schmäler, wenn ich nicht darüber springen kann, der Fels nicht kleiner, der Schnee nicht wärmer, der Heimweg nicht kürzer. Und wenn es dunkel wird, dann wird es eben dunkel. Bei diesen Auseinandersetzungen mischen wir uns am besten gar nicht ein. Denn genau jetzt macht unser Kind eine der wichtigsten Erfahrungen seines Lebens: Der Mensch ist nicht der Herrscher über die Welt!

Kinder im Wald; Natur

Die Natur tröstet

Der Pädagoge Henning Köhler schreibt, jede Sinneserfahrung mit der Natur erinnert Kinder daran woher sie kommen. Das klingt nach einer religiösen oder spirituellen Erfahrung. Aber gleich wie man es nennen mag: In der Natur schaffen wir es Probleme in Relation zu setzen. Wir erkennen leichter wo unsere Wurzeln liegen, worauf es wirklich ankommt. Dass ein 5-er in Mathe, oder ein Streit mit der besten Freundin die Welt als Ganzes keineswegs ins Wanken bringt. Vieles ergibt dann erst einen Sinn, oder eben keinen mehr. Wir erinnern uns daran, dass es auch für uns einmal eine ganz andere Wirklichkeit, eine andere Welt wie diese hier gegeben hat. Es ist die Welt aus der wir alle gekommen sind, aus der wir gemacht sind. Und die besteht nicht aus Schulnoten, Terminen oder To-Do-Listen, sondern eben aus Erde, Luft, Wasser und Feuer.

Kinder im Wald; Natur

Die Natur setzt das Handy außer Kraft

In der Natur können sich Kinder aus den vier Elementen ihre ganz eigene Heimat schaffen, so Hüther und Renz-Polster. Eine Heimat also in der das sonst so Bedeutungsvolle an Kraft verliert. Nach ein paar Selfies vor dem Ameisenhaufen macht das Handy hier im Wald keinen wirklichen Sinn mehr, denn die Tiere des Waldes kommunizieren nicht über WhatsApp. Auch unfreiwillige Waldbesucher geben sich irgendwann geschlagen. Denn die Elemente ziehen an. Die matschige Erde, die luftige Höhe der Bäume. Haben wir die Kinder erstmal in den Wald gekarrt ist der Rest ein Selbstläufer. Die Erfahrungen die sie nun machen sind ganz und gar unmittelbar, ohne Umwege über den Bildschirm, so Renz-Polster und Hüther.

Das gleiche gilt natürlich auch für die großen Waldbesucher. Denn auch wir Erwachsenen brauchen die vier Elemente – Sie sind Atemluft für die Seele.

Die Natur steht uns zur Seite. In der Erziehung und in unserem ganzen Leben.

Kinder im Wald ; Natur

Silvia und ihre Schwester kannten ihren Wald. Aber einmal sind sie über die Grenzen gegangen. Das Dunkle, Unbekannte hat sie verführt. Sie wollten Abenteurer sein und haben ihren vertrauten Teil des Waldes verlassen. Der Wald schien unendlich groß zu sein. Sie entdeckten neue Landschaften, Felsen, Tümpel. Sie spielten Robin Hood, fanden Steinpilze. Bis sie nicht mehr wussten aus welcher Richtung sie gekommen waren.

Da wurde ihnen ganz anders. Sie begannen um Hilfe zu schreien, mit der Hoffnung der Wind würde ihre Stimmen bis an den Waldrand tragen, zu dem Haus ihrer Oma. Doch es kam keine Antwort. Also entschieden sie sich für einen Weg, liefen eine Weile und änderten dann die Richtung. So ging das eine ganze Weile, bis Silvias Schwester zu weinen begann. Sie setzten sich auf einen Stein, und malten sich aus was wohl mit ihnen geschehen würde, wenn sie den Ausgang nicht mehr finden würden. Aus Robin Hood waren Hänsel und Gretel geworden.

Doch da hörten sie etwas. War das nicht das Rauschen von Wasser? Sie folgten dem Geräusch und standen schließlich vor dem Bach. Sie überlegten auf welcher Seite des Hauses ihrer Großeltern die Sonne abends verschwand, schauten in den Himmel und entschieden sich dann für eine Richtung. Und so liefen sie los, dem Bach entlang, heimwärts.

An dieses Erlebnis muss Silvia oft denken. An ihren Wald. Ihr Königreich. Ihr zweites Zuhause. Ihr Wald hat sie stets herausgefordert ohne sie zu überfordern. Er hat sie beschenkt ohne sie zu verwöhnen. Er hat sie zum Sieger gemacht, aber nie zum Verlierer. Er war die Gefahr und das Abenteuer. Er hat sie in die Irre geführt und dann den Ausweg gezeigt. Und das tut er auch heute noch, 30 Jahre später. Denn Silvia ruft ihren Söhnen zu: „Jungs, zieht euch an! Wir gehen in den Wald!“

Wald; mit Kindern im Wald; Waldviertel
Mein Wald

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Quellen:

  • Köhler, Henning: Schwierige Kinder gibt es nicht. Verlag Freies Geistesleben
  • Louv, Richard: Das letzte Kind im Wald. Geben wir unseren Kindern die Natur zurück. Verlag Herder
  • Renz-Polster, Herbert / Hüther, Gerald: Wie Kinder heute wachsen. Natur als Entwicklungsraum. Beltz Verlag
  • Foto „Mein Wald“: Peter Maxian

1 Kommentar zu “Der Wald an meiner Seite – Wie die Natur uns bei der Erziehung helfen kann.

  1. Liebe Barbara, danke für deine Beiträge! Obwohl schon 60+ erinnere ich mich noch immer sehr gerne an die vielen Ferienwochen im Waldviertel. Unser Ferienhaus lag zwar sehr abgeschieden von Wald und Wiesen umgeben bot mir allerdings jede Menge Freiheit. So lernte ich aber auch Verantwortung zu übernehmen und auf mögliche Gefahren zu achten. Natürlich gab es auch Langeweile aber sie war nie zu lange und endete meist mit kreativen Ideen.

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